Rassistische Weltbilder - müssen wir unsere Literaturklassiker umschreiben?

Shownotes

Wie gehen wir mit Geschichten um, in denen Menschen, die nicht weiß sind, als Menschen zweiter Klasse beschrieben werden? Romane, die voll sind mit rassistischen Begriffen und die ein gesellschaftliches Grundverständnis transportieren, das von einer weißen ‘Überlegenheit’ ausgeht? Sollen wir diese Literatur aus unserem Deutschunterricht verbannen? Muss sie umgeschrieben werden? Oder müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen? Und wenn ja, wie? Darüber denken Florence und Marion in dieser Episode nach.

Kommentare (1)

Jochen Orth

Schade. Der Podcast „rassistische Weltbilder in der Literatur“ (aus der Serie SCHWARZWEIß) von Marion und Florence behandelt meines Erachtens sehr vereinfachend ein Thema, das einer differenzierenderen Betrachtung bedarf. Meine Kritik: 1. Der Titel „rassistische Weltbilder in der Literatur“ suggeriert, dass das Weltbild des Autors Wolfgang Koeppen rassistisch gewesen sei. Die Darstellung im Podcast ebenfalls. Im Podcast werden keine Belege und Textbeispiele für einen Rassismus genannt, sondern dieser Rassismus wird einfach behauptet. 2. Die beiden Podcasterinnen haben offenbar den Roman nicht gelesen, sprechen und urteilen aber dennoch darüber. Das halte ich für sehr fragwürdig. Der Roman ist ganz klar als Kritik am Rassismus der deutschen Nachkriegsgesellschaft angelegt – beachtlich für einen Roman, der 1951 erschienen ist. In diesem Roman glaubt etwa eine der Figuren, der dunkelhäutige amerikanische Soldat Washington Price, fest daran, dass sein Traum von einer Welt ohne Rassendiskriminierung, in der „niemand unerwünscht ist“ verwirklicht werden kann. Nicht gerade eine Aussage, die ein rassistischer Autor eine seiner Figuren machen lässt. Mit Odysseus Cotton macht Koeppen einen schwarzen amerikanischen Soldaten zu einer der Hauptfiguren, die direkt in der Nachkriegszeit durch eine bayerische Großstadt – vermutlich München – irrt. Damit wird ein zentraler europäischer Mythos in Anspielung an die Odyssee und an „Ulysses“ von James Joyce nun mit einem „Schwarzen“ positiv besetzt, sprich gezeigt, dass die amerikanische (und eben auch afroamerikanische) die europäische Kultur nun als tonangebende Kultur abgelöst hat. Diese Figur wird nun im München von ca. 1946 zur Projektionsfläche der Stereotype, Vorurteile und des Rassismus, der gewalttätigen Einstellung der damaligen deutschen Gesellschaft. Die rassistischen Einstellungen der Figuren sollen durch Zuspitzungen im Roman kritisch vorgeführt werden. Dabei verwendet der Autor teilweise eine sehr drastische Sprache, sehr drastische Bilder. Ja, das kann auf Leser*innen verletzend wirken und deswegen kann man darüber diskutieren, ob dieser Roman Schullektüre für 17jährige Schüler*innen sein sollte. Aber man sollte es sich auch nicht zu einfach machen und den Roman pauschal als rassistisch verurteilen. Man muss genauer untersuchen, ob der Roman über die kritische Darstellung hinaus eventuell ungewollt rassistische Stereotype enthält, die vielleicht zeitbedingt sind und die wir heute mit einer größeren Sensibilität wahrnehmen. Das halte ich für möglich, aber dazu braucht es m.E. eine eingehendere Analyse. Einige bisher in Kommentaren angeführte Textbeispiele halte ich überwiegend für grenzwertig, auch abstoßend, aber nicht eindeutig genug. Die Kritik der Literaturwissenschaftlerin Sigrid Köhler in der „taz“, dass die Figur „Odysseus Cotton“ vorwiegend über „Körperlichkeit, Sexualität und Animalität“ dargestellt werde, greift m. E. zu kurz, denn das ist ein Mittel, das Koeppen oft verwendet, um die psychosoziale Verfasstheit der Figuren darzustellen und genauso für Figuren mit weißer Hautfarbe verwendet, etwa zu Anfang des Romans für den weißhäutigen Schauspieler Alexander und seine Frau Messalina. Hier muss ich erklären, dass ich meine Magisterarbeit über ein Werk von Wolfgang Koeppen geschrieben habe und fast alle seine Werke und einiges an Sekundärliteratur gelesen habe. Ich möchte dagegen angehen, dass Koeppen mit dem Etikett „rassistischer Schriftsteller“ versehen und in eine bestimmte Schublade gesteckt wird. Und ich möchte vor vorschnellen Verurteilungen warnen.

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